Freitag, 2. November 2012

Martyrs (2008)


- Martyr: nom, adjectif; du grec „marturos“: témoin -
Ein Waisenhaus irgendwo in Frankreich, man sieht inform von homevideoartigen Ausschnitten verstörte und grotesk entstellte Kinder, Trostlosigkeit und Grauen. Inmitten dieser Kinder befindet sich die durch ein Augenpflaster enstellte Lucie (Jessie Pham), deren Schicksal, über einen längeren Zeitraum in einem abgelegenen Industriegebiet misshandelt worden zu sein, parallel dazu von einem Reporter am Ort des Geschehens dokumentiert wird. Lucie ist nicht imstande, sich zu den Umständen zu äußern, daher übernimmt ihre einzige Freundin Anna (Erika Scott) das Reden mit der machtlosen Polizei, um die Täter zu finden und zu bestrafen, denn weiters leidet Lucie zusehends an den Folgen ihrer Folter und wird noch dazu von eigenartigen Kreaturen attackiert - Cut!


15 Jahre später sieht man auf einmal einer vermeintlich normalen 4-köpfigen Familie dabei zu, wie sie einen Sonntagmorgen verbringt. Die Kinder albern herum und gehen sich gegenseitig auf die Nerven, während die Eltern sehr vertraut miteinander sind und letztendlich, inspiriert von ihrer Tochter, beginnen, kollektiv auf dem Sohn herumzuhacken. Doch ein Klingeln an der Tür stört die friedlich-stichelnde Idylle und ein jeder wundert sich, wer am Ruhetag die Frechheit besitzt, eine Audienz zu verlangen. Es ist eine Frau mit einem Schrotgewehr, die den Familienvater mit einem berstenden Schuss von der Tür ins Sichtfeld der anderen 3 und rasch auch diese ins Jenseits befördert. Schnell erkennt man in der jungen Frau Anfang 20 die im Prolog vorgestellte Lucie (Mylène Jampanoi), die hier offenbar eine Rechnung zu begleichen hat. Schnell ruft diese per Telefon ihre scheinbar auf einen Anruf zu wartende Freundin Anna (Morjana Alaoui) zu Hilfe, welche eigentlich davon ausgeht, dass nun die Behörden eingeschaltet werden müssten. Als Anna jedoch im Haus ankommt und die komplette Familie im gesamten Haus verteilt sowie eine verstörte Lucie auffindet, ist sie dieser zwar erst böse, willigt dann aber trotzdem ein, bei der Beseitigung zu helfen. Beide Frauen haben sichtlich mit sich selbst, einander und der Situation zu kämpfen und begehen einen logischen Fehler nach dem anderen. Doch während Lucie zwischen Kälte und Wahn in Verbindung mit den Bildern einer ebenfalls im Kerker gefolterten Frau, welche ihr immer noch als sie attackierendes "Monster" erscheint, schwankt, erlangt Anna nach und nach wieder einen halbwegs klaren Kopf und wird sich der Aussichtslosigkeit dieser Misere bewusst und bewahrt nach wie vor so etwas wie Menschlichkeit, sprich sie stimmt nach wie vor nicht mit den Motiven ihrer Gefährtin überein. Doch diese Abschweifung rächt sich spätestens, als der vermeintliche Hauptcharakter Lucie, gepeinigt durch das immer präsenter werdende Monster und auf sich allein gestellt, sich schließlich immer heftiger selbst verletzt und letztendlich durch einen Kehlenschnitt selbst auslöscht ...doch die Geschichte nimmt hier erst Fahrt auf, denn als die todtraurige Anna sich nicht von ihrer Freundin lösen kann und letztendlich einer Gruppe von mysteriösen Leuten gegenüber steht, die nichts Gutes verheißen, folgt der ausschlaggebende Teil dieses Films ...
 

Dieser Film ist Terror für die Seele eines Genreneulings, der auch all die anderen französischen Beiträge wie Frontier(s), Inside oder High Tension noch nicht gesichtet hat, Regisseur Pascal Laugier ist hier klar auf den Zug der immer noch recht populären doch auch schon 2008 weitgehend ausgeluschten Torture-Porn-Sparte aufgesprungen und hat sich sichtlich angestrengt, gängige Klischees weitestgehend zu vermeiden und auch ein paar neue Aspekte mit einfließen zu lassen. Dies ist ihm recht gut gelungen, wird doch hier schon allein die (wie besonders in französischen Vertretern) größtenteils sehr exzessive Gewaltdarstellung ausnahmsweise einmal mit einem gewissen Hintergrund zur Schau gestellt, welcher sich allerdings bezüglich des leidigen Storyspoilings nicht allzu ausführlich benennen lässt. Es sei nur so viel gesagt, eine schlicht "Mademoiselle" genannte Dame reiferen Alters (Catherine Bégin) outet sich recht rasch als Anführerin dieser mysteriösen Gruppe, welche Anna gefangen nimmt und derselben Folter aussetzt wie ihre verstorbene Freundin Anna und ein höheres Ziel zu verfolgen scheint - welches, das sei hier nun nicht aufgeführt. 
 

Diese Folter erinnert einen in der zweiten Hälfte des Streifens nun entweder an Hostel, den doch sehr polasierenden The Bunny Game oder eben an bestimmte Szenen der bereits genannten französischen Verwandten. Für welche Vergleichsmöglichkeit man sich auch entscheiden mag, die in kalten und bedrohlich realistischen, angenehm unaufgeregt geschnittenen Bildern gezeigte Pein der Anna lässt schwache Seelen gar hingebungsvoll mitleiden, der Verfall eines "privilegierten" menschlichen Wesens bis hin zum triebgesteuerten, zerstörten Klumpen Fleisch wird einem hier derart schonungslos in die Fresse geknallt, wie es selten der Fall gewesen ist. Dadurch, dass der Zuschauer ohne jegliche Barrieren oder Tabus immer tiefer in den Strudel gerät und Anna in hemmungslos voyeurostischer Manier beobachtet, könnte sich gar so etwas wie Mitleid oder -gefühle oder eben Lust und Vergnügen einstellen.


Nachdem man nun diesen Beitrag, welcher übrigens höchst offiziell einem Altmeister des Horrors, Signore Dario Argento, gewidmet wurde, gesichtet hat, bleibt einem wahrlich angesichts des letzten Drittels und vor allem des unerwarteten Endes (sofern man keine Laufzeitanzeige im Blickfeld hat) das Lachen vollends im Halse stecken. Andererseits freut man sich natürlich über einen überdurchschnittlich guten Genrebeitrag mit einer am Ende sehr innovativ dargestellten wahren Hauptfigur. Des Weiteren steht natürlich auch ein ums andere Mal die Diskussion im Raum, ob nun eine drastische Gewaltdarstellung im Film immer noch nötig bzw. gar zeitgemäßg ist, was einen direkten Bezug zur Realität darstellt, ist die Gewalt von Menschen an sich und an anderen doch allgegenwärtig und essenziell für unser weiteres Bestehen. Nichtsdesto trotz wird hier in seltenem Maße sehr intensiv auf die immer noch präsente Kindesmisshandlung und auch die skrupellose Gewalt- und Machtdemonstration des Menschen einem höheren Zwecke dienend (ähnlich wie bei den Nazis) eingegangen.
Andererseits stören einen natürlich einige deutliche Handlungsfehler, eine leichte Stagnation im letzten Drittel und auch die nur angedeutete Beleuchtung der mysteriösen Elitegruppe.
Die französische Kulturministerin Christine Albanel ließ dieses Werk übrigens noch einmal genau unter die Lupe nehmen, nachdem es erst eine französische 18er-Freigabe erhalten hatte und somit weder im Kino noch im TV ausgestrahlt werden durfte. Kurzerhand wurde so eine 16er-Bewertung erreicht, was den Film nun einem breiteren Publikum zugänglich machte, paradoxe Sache.


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1 Kommentar:

Carmen hat gesagt…

seltens so einen kranken guten film gesehen :)